So magisch orientalisch, so extrem.
Während unserer Zeit im Iran hätte ich schon nach wenigen Stunden beginnen können über das facettenreiche Land in Zentralasien zu schreiben. Bereits am Flughafen gab es so viele neue Eindrücke. Oder auch die Ankunft bei unserem Host, welcher nachts um 04.00 Uhr von der Polizei angerufen wurde, um zu bestätigen, dass wir keine Geschäftspartner oder Journalisten sind.
Damit hatte ich nicht gerechnet. Der erste Ausflug in die quirligen, nach Gewürzen duftenden Straßen Teherans. Alles war neu und vor allem eins – alles war anders. So viel anders als ich es mir vorgestellt hatte. Da ließt man Monate über Land, Leute, Kultur und Religion, was darf eine Frau, wer gibt wem die Hand, wie benimmt man sich. Dann kommt man an, wird von einem (fremden) Mann herzlich umarmt, jeder ist wach bis die frühen Morgenstunden, philosophiert über das Leben, das Land, die Politik.
Als wir am nächsten Tag bei unserem Host aufwachen sitzt ein Mädchen auf der Couch. In kurzer Hose, gepierct, tätowiert. Wow – damit habe ich nicht gerechnet! Sie führt eine offene Beziehung mit unserem Host. Meinen Blick hätte ich ja gern gesehen, als ich das erfahren habe. Fast kommt es mir vor, als wären die Menschen hier nur halb so konservativ, wie wir Deutschen.
Der Iran überrascht mich am ersten Tag sehr positiv mit seiner Lockerheit und Offenheit.
Allerdings ändert sich das im Laufe der Reise circa täglich.
Gut, ich muss ein Kopftuch und eine längere Jacke tragen. Ja, es ist heiß, aber nein, es stört mich nicht. Es gibt wahrlich Schlimmeres. Das werde ich noch mehrfach feststellen.
Es ist circa 1 Uhr nachts – wir fahren durch die Straßen Teherans, die Musik dröhnt durch das Auto. „This is our house, this are our rules“ -ja, das merkt man. Hier lässt sich die junge Generation nur sehr wenig vorschreiben. Wir haben so viel Spaß mit Menschen, welche wir nicht einmal seit 48 Stunden kennen. Wir schreien die Texte durch das fahrende Auto und fliegen durch die bunt beleuchteten Straßen der unerwartet modernen Hauptstadt.
Wenn mich jemand fragen würde, weshalb ich diese Reise mache – genau deshalb! Genau das sind die Momente, welche einem niemand man mehr nehmen kann. So einfach, so unkompliziert, so frei und weit weg von allen Gedanken.
Später in der Nacht sitzen wir in einem Café, hier kennt man die wenigen Plätze, welche nach Mitternacht geöffnet haben dürfen. Wieder denke ich – ach naja, so problematisch ist das doch hier alles nicht.
Ich unterhalte mich mit einem Mädchen. Sie ist unglaublich gebildet und so schön. Sie studiert, arbeitet nebenbei viel. Allgemein ist sie sehr fröhlich, singt und tanzt gern und gut.
„Anni, was denkst du über Frauen im Iran?“
Puhh….so recht weiß ich nicht, worauf sie hinaus will. Sie sind schön?! Sie sind unglaublich hilfsbereit? Gastfreundlich?
„Ja, das ist unsere Kultur. Aber was denkst du über das Leben hier? Muss es nicht schön sein, in Deutschland alle Möglichkeiten zu haben? Du darfst alles tun was du möchtest, raus gehen wann du möchtest. Unbeschwert tanzen, lachen und Spaß haben.“
Ich sehe wie ihre großen braunen Augen in der Dunkelheit funkeln, sie hat Tränen in den Augen.
Da ist sie – die Realität. Natürlich ist es für mich als Tourist in Ordnung ein Kopftuch zu tragen. Aber wie würde ich mich denn fühlen, müsste ich das jeden Tag tun? Ohne eine Wahl. Wie ist es in eine Religion geboren zu werden, an die man nie geglaubt hat? In einer Kultur voller Verbote zu leben. Nicht mit seinen Freunden tanzen zu dürfen. Facebook und Youtube zu nutzen, im ständigen Wissen, wenn die Polizei je etwas sucht, was man mir anhängen möchte, es ein Leichtes ist. Man nicht einfach so das Land verlassen kann, wann man möchte.
All diese Dinge, über welche wir nie nachdenken, da sie für uns selbstverständlich sind. Selbstverständlich, dass wir das Glück haben in einem Land geboren wurden zu sein, welches uns nicht nur zu Hause alle Freiheiten der Welt gibt, sondern auch dessen Pass die goldene Eintrittskarte zu nahezu jedem Land der Welt ist.
Ich finde das sollten wir uns etwas öfter vor Augen führen und vor allem dankbar dafür sein. Ja, die Politik in unserem Land mag nicht immer das Gelbe vom Ei sein. Solang Länder Waffen produzieren und ausliefern, um Kriege weiterzuführen, und die Medien uns nur berichten, was wir hören sollen, fällt es schwer, überhaupt Dingen Glaube zu schenken. Aber wir sollten uns bewusst darüber sein, dass es jedem Einzelnen von uns unglaublich gut geht!!!
Wenn auch nicht ganz passend zum Text, an der Stelle aber ein so wahres Zitat von K.I.Z.: „Ihr könnt im Wahllokal ankreuzen, wer den Puff besitzt. Es bleiben immer die gleichen Freier, denen ihr einen lutschen müsst!“
So ist es und so bleibt es auch sicher auch noch eine Weile – auch in Hinsicht auf unsere anstehenden Wahlen, sollte jeder darüber nachdenken, wozu er mit einer „Protestwahl“ oder mit nicht wählen beitragen könnte. Was passiert, wenn man patriotische Egoisten wählt, sollten u.a. die USA oder die Türkei als Negativbeispiel grade eindrucksvoll zeigen.
Genug der Politik – zurück zum Iran.
Was passiert mit Dingen, die man Menschen verbietet? Genau- es macht sie interessant! Dinge, welche man vorgeschrieben bekommt hingegen sind immer irgendwie belastend und so richtig gern macht man sie nicht.
Oder weshalb konsumieren in Deutschland mehr Menschen Marihuana als in den Niederlanden? Weshalb machten wir als Kinder nicht gern Mittagsschlaf?
Wir möchten selbst bestimmen, was wir tun.
Nun könnt ihr euch sicher vorstellen, was in einem Land passiert, in dem nahezu alles was Spaß machen könnte, verboten ist. Somit ist es nicht verwunderlich, dass uns innerhalb weniger Tage unzählige Male Alkohol oder Joints angeboten, wir zu Hauspartys eingeladen wurden.
Es entwickelt sich eine richtige Szene. Dort gibt es nichts, was es nicht gibt. Allerdings macht genau das Menschen kriminell. Sie bringen sich in Gefahr, nur um ein Stück „normales“ Leben zu haben.
Wir haben viele Menschen im Iran kennengelernt. Sehr oft war ich erstaunt, wie unglaublich intelligent sie waren. Eine junge Generation, voller Wissen über Politik, nahezu jeder hat einen Studienabschluss. Aber was wollen 80% von ihnen nach dem Studium machen? Sie möchten ins Ausland gehen. Klar, das kann ich völlig nachvollziehen. Sie möchten erleben und fühlen, was sie nur aus den -wahrscheinlich verbotenen- Medien kennen.
Genau damit macht sich das Land selbst kaputt. Es vertreibt seine aufstrebende Jugend. Alles könnte so schön sein. Wir treffen so viele junge Leute, welche ihr Land wirklich lieben. Und das völlig zu recht. Es ist wunderschön, es ist orientalisch, es ist fröhlich. Wenn man ihm nur die Chance dazu gibt.
Nun denkt man sicher wieder „Jaja, der Islam eben. Diese komischen Muslime…“ Nein! Genau so ist es nicht. Das ist nur der Staat! Kaum etwas der Regeln, Gesetze und Verbote hier hat etwas mit dem Islam zu tun. Nun sind wir seit einer Weile in Malaysia und haben sehr viel über den Islam gelernt und durch unser Ramadanprojekt uns ganz freiwillig viel mit der Religion beschäftigt.
Mindestens 90% der Muslime, welchen wir begegnet sind, waren unheimlich tolerant, offen und freundlich. Verhaltensweisen von Menschen, Gesetze in Ländern, oder gar psychische Aussetzer (wie Amokläufe) kann man nun mal nicht an Hand einer Religion festlegen.
Natürlich habe ich im Iran das ein oder andere Mal zu spüren bekommen, dass ich die Frau bin. Allerdings kam das äußerst selten vor.
Eindeutig war, dass einer unserer Couchsurfinghosts ausschließlich mit Christian gesprochen hat. Ich denke: „Ach ja, da haben wir es ja. Ich bin eine Frau, ich werde ignoriert.“. So schnell erwischt man sich dabei, sofort den Vorurteilen zu verfallen, obwohl es nur ein kleiner erster Eindruck ist. Anfangs war ich irritiert und auch ein bisschen wütend. Nach zwei Stunden einfach nur froh darüber. Die Vorurteile waren verschwunden und die Erkenntnisse klar. Er war ganz einfach ein Macho wie er im Buche steht. Mit seiner Frau hat er nämlich auch nicht gesprochen (außer sie sollte ihm etwas zum Essen bringen). Wenn er mit Christian gesprochen hat, dann immer über sein Geld, seine Urlaube, seine Häuser. Aha. Interessant. Wieder ein Beweis dafür, dass man Menschen nicht sofort verurteilen sollte. Gut, er war in meinen Augen wirklich nicht die Kategorie Mensch mit der ich kommunizieren möchte (ich anscheinend ja auch nicht seine^^), aber das lag natürlich nicht an der Religion, sondern in meinen Augen einfach am Charakter.
Alles andere waren Kleinigkeiten, welche meist mit anerzogener Höflichkeit und der Kultur zusammenhingen. Und um ehrlich zu sein, ist es super entspannt endlich an einem Flughafen mal nicht von 100 Taxifahrern belagert zu werden und ganz witzig zu sehen, wie sich alle auf Christian stürzen und ich locker raus spazieren kann. 😉
Die ganze Mann-Frau Geschichte hat in meinen Augen also wenig mit Religion zu tun und kann manchmal sogar ganz angenehm sein. Solang man als Tourist im Land ist.
Als im Iran lebende Frau sieht das sicher schon ganz anders aus.
Denn bereits nach einem Monat macht sich das frische Brot mit Honig und Feigen zum Frühstück auf den Hüften bemerkbar. Das schlägt aufs Gemüt. Mein Körper verändert sich. Die Ernährung hier ist alles andere als gesund und Alternativen gibt es einfach nicht. Man möchte ja auch niemanden vor den Kopf stoßen, nachdem die Mutti zwei Tage in der Küche stand, um den deutschen Ehrengästen all ihre Kochkünste zu präsentieren.
Okay, kompensiert man das halt mit Sport. Haha. Kann man machen- jedenfalls wenn man ein Mann ist. Bin ich aber nicht. Das heißt im Klartext, dass es mir verboten ist draußen Sport zu machen. Wie auch? Mit Jacke und Kopftuch bei 35 Grad?! Die Wohnung/das Schlafzimmer teilen wir uns in der Regel mit 2-5 anderen Leuten. Also auch nicht der beste Platz, um im Laufe des Tages ein Workout hinzulegen. Naja okay, wohl fühle ich mich nicht, aber die Sicherheit, dass ich in Asien gesund essen und mich viel bewegen kann, beruhigt ein wenig. Bis dahin habe ich ja immerhin genug Jacken und Tücher, um die neuen 1-2 Kilo nett zu verstecken.
Das ist aber leider nicht alles. Was zum Teufel ist mit meiner Haut los!? So sah ich ja nicht mal in der Pubertät aus!
Ein Iraner fragt mich: „Findest du auch, dass die Frauen hier viel zu viel Make Up tragen?“. Recht hat er. Aber hat er je darüber nachgedacht weshalb? Wenn ich im Sommer im kurzen Kleidchen los gehe, trag ich dazu sicher nicht noch den roten Lippenstift auf. Wäre ja glatt übertrieben. Wenn meine Haare heute gut liegen, muss ich mich ja nicht unbedingt schminken. Klar. Aber hier? Hier ist das natürlich anders. Die Mädels geben sich natürlich viel Mühe mit ihren Outfits. Letztendlich ist aber das einzig Einzigartige in der Öffentlichkeit an ihnen ihr Gesicht. Dementsprechend wollen sie hier alles rausholen und übertreiben gern mal. Das merke ich selbst ganz schnell. Mit so einem Kopftuch wirkt nämlich der rote Lippenstift gar nicht mehr so übertrieben.
Überflüssige Kilos und unreine Haut von zu viel Make Up. Ich hätte mir schönere Mitbringsel vorstellen können, um ehrlich zu sein.
Zu viel Fleisch, zu wenig Gemüse. Zu viele Regeln, zu wenig Freiheit.
Nach einem Monat verlassen wir das von mir geliebt-gehasste Land…. Ob ich wieder komme? Das weiß ich nicht so genau. Es war eine sehr interessante Erfahrung, welche ich nicht missen möchte. Auch würde ich zu 1000% jedem den Iran als Reiseland empfehlen. Als sicheres Reiseland (auch allein reisenden Frauen). Für mich reicht dieser Einblick jedoch vorerst. Die Städte sind modern, die Dörfer historisch. Die Moscheen beeindruckend, die Kultur toll. Jedoch bin ich nach wie vor nicht sicher, ob man mit Tourismus den Menschen vor Ort hilft (das steht außer Frage), oder ob man nicht somit auch der Regierung zeigt, dass Touristen einen Islamischen Staat ja als spannend empfinden.
Ich habe den Iran wirklich lieben gelernt. Ich habe Freunde gefunden. Ich habe tolles Essen gegessen, den besten Tee getrunken. Ich habe mit den Menschen gelacht und geweint, alles mit ihnen geteilt, gelernt mehr zu teilen. Ich habe gelernt Menschen mehr zu vertrauen, mich mehr mit Politik und Geschichte zu beschäftigen.
Aber vor Allem habe ich meine Freiheit und mein Leben in Deutschland und der weiten Welt sehr zu schätzen und zu lieben gelernt!
(Für alle, die den ersten Teil unserer Iran-Reise überlesen haben: HIER findet ihr ihn!)
Anni
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Gute Arbeit. Danke.
Interessanter Artikel.
Gut geschrieben. Echt toll. Danke.