Wie alles begann…

Vietnam/April 2015 – Anni und ich sitzen am Ufer des Hoan-Kiem-Sees inmitten von Hanoi. Es ist schon spät und es dringen vietnamesische Bässe aus schlechten Anlagen in unsere Ohren. Der kleine See wirkt wie ein Ruhepol zwischen unzähligen Energiebündeln der quirligen Hauptstadt Vietnams. Die Lichter der grellen Reklameleuchten spiegeln sich darin wieder, wie das Lächeln in unseren Gesichtern, welches uns die Vietnamesen seit einem Monat entgegenbringen. Ganz gleich, ob im Norden in der Halong-Bucht, dem süßen Städtchen Hoi An im Zentrum oder auf der traumhaften Insel Phu Quoc im Süden. Die Magie des Lächelns berührt, denn sprachliche Barrieren überwinden wir mit Mimik und Gestik. Kritische Blicke, ein kurzes „Hi“ oder Augenzwinkern können so vieles bedeuten. Ein Lächeln hingegen sagt überall auf der Welt viel mehr aus. Es macht glücklich und bleibt lange erhalten. Durch nichts kann man seinen Körper einfacher austricksen.

Es ist der letzte Tag unserer Reise durch Vietnam. Einen Monat sind wir vom Norden in den Süden, Step by Step, gereist. Morgen soll uns der Flieger wieder in Richtung Deutschland bringen. Wir sind uns unserer Gefühle nicht sicher. Sind wir traurig, dass die Reise wieder einmal zu Ende geht? Oder glücklich, dass wir so viele Erfahrungen mitnehmen und auf unsere deutschen Verhaltensmuster übertragen können? Das Dauergrinsen gefällt mir und ich spreche aus, was Anni bereits seit Monaten oder Jahren denkt. „Wie wäre es denn, wenn wir diese Art zu Reisen mal über einen längeren Zeitraum erleben könnten?! Im Hier und Jetzt leben zu können, das Dauergrinsen beizubehalten, anstatt an Verpflichtungen von Morgen, nächster Woche, nächstem Monat oder der nächsten Jahren denken zu müssen?!“ Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz, dass man in Deutschland nur kleinen Kindern ein Lächeln zuwirft. Oder eventuell mal Erwachsenen. Aber selbst dann bekommt man meist nur ungläubige Gesichter zugeworfen. Der Beschluss war schneller gefasst, als man in Vietnam eine Straße überqueren sollte, der Grundstein gelegt, unserem Vorhaben wurde ein Rahmen geschaffen. (HIER findet ihr den Link zu unserem Video, welches wir über unsere Reise durch Vietnam gedreht hatten)

Zu Hause angekommen stürzen wir uns direkt ins bis dahin Unbekannte. Die Vorbereitungen laufen sofort an. Wer reisen möchte, benötigt natürlich auch das nötige Kleingeld, zumindest dachten wir das zu diesem Zeitpunkt noch. So arbeiten wir im Sommer auf Festivals, verbinden damit unsere Leidenschaft zur Musik und lernen tolle Menschen kennen. Die Woche endet nicht zum Freitag Mittag, sie geht erst so richtig los, bis es Sonntag Abend zurückgeht – Montag Morgen sitzen wieder im Büro.
Im Winter hingegen folgt die Kabarett-/ Konzert-/ Weihnachtsfeiersaison. So mixen wir Woche für Woche tausende leckere Cocktails und schmeißen die Bar, während wir singen, tanzen und springen und die Band die Bühne rockt. Spaß bei der Arbeit haben wird für uns immer wichtiger.

Unser Lebensstil wandelt sich sehr schnell. „Wow, das Shirt ist aber nice!“….- aber würde ich das in meinen Rucksack packen?? Nein, wahrscheinlich nicht.

Der Konsum sämtlicher Dinge schränkt sich extrem ein, sobald einem bewusst ist, dass jeder Besitz eigentlich nur ein Ballast ist.

Jetzt denkt ihr sicherlich: „Aber ihr müsst doch auch euer Leben ein bisschen genießen!“ Keine Angst, das tun wir in vollen Zügen! Ja, die Arbeit ist oft stressig, aber sie macht Spaß, wir haben viele tolle Menschen kennengelernt und Freunde gewonnen. Und wenn wir mit unseren Freunden feiern gehen, haben wir sehr viel Spaß, auch ohne 50 Euro ausgeben zu müssen.

Mehrfach schauen wir uns gemeinsam mit Familie und Freunden die Urlaubsbilder an und umreißen grob unsere Gedankenwelt in Bezug auf unser Vorhaben. So richtig ernst genommen werden wir dabei noch nicht. Klar, frisch aus dem Urlaub zurück schwirren einem natürlich die verschiedensten Gedanken durch den Kopf. „Ihr seid doch verrückt!“, „Das würde ich auch gern mal machen!“, „Wollt ihr dafür wirklich euren Job dafür aufgeben?!“.

Doch irgendwann ist es soweit – der Rahmen unseres Vorhabens nimmt immer mehr Gestalt an und es steht ein wichtiger Schritt wortwörtlich vor der Tür: Unseren Eltern beibringen, dass wir das Ganze wirklich ernst meinen. Wir haben uns bereits an all das, was gerade passiert, gewöhnt. Umso leichter fällt es uns, den unzähligen Fragen zu stellen und mit Bravour zu meistern! Als Elternteil möchte man sein Kind natürlich ungern in die weite Welt ziehen lassen, nicht zu wissen, was da auf einen zukommt, immerhin werden wir den Wölfen sinnbildlich zum Fraß vorgeworfen. Der wichtigsten Frage dabei ist: „Und wann wollt ihr da wiederkommen??“. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir das leider selber nicht, was dem Ganzen natürlich noch das i-Tüpfelchen verpasst.

Was passiert eigentlich mit unserem Job? Kurze Zeit später beantragen wir ein Sabbatjahr. Leider wird es von unserem Arbeitgeber zweifach abgelehnt. Das ändert unsere Pläne jedoch nicht! Der Entschluss steht so fest, dass wir die Erfüllung unseres Traumes nicht nicht davon abhängig machen wollen, wo wir „danach“ arbeiten. Wie Ying zu Yang gehört, scharfes Essen zu Thailand, der Strand zum Meer, das Bier zur Bratwurst, steht für uns fest, wir gehören in die große weite Welt. Nach reichlich Überlegungen entschließen wir uns zu kündigen, falls das Unternehmen keinen anderen Weg findet.
Ja, ein Job ist in Deutschland sehr wichtig. Unser Job hat uns Spaß bereitet und dass wir eine Kündigung in Erwägung zogen, war kein böser Wille. Es war ausschließlich der Wille endlich in der Welt zu Haus zu sein.

Erfurt/März2017 – Nach riesiger Unterstützung lieber Kollegen und Vorgesetzten bekommen wir offiziell die Zusage unseres Arbeitgebers, unseren Arbeitsvertrag bestehen zu lassen und dass wir im September 2018 wieder anfangen können zu arbeiten. Obwohl zwischen Erfurt und unseren jeweiligen Heimatstädten unserer Eltern rund 80 Kilometer liegen höre ich quasi die Steine Ihrer Herzen fallen, wie ein Feuerwerk an Silvester.

Wir sitzen gemeinsam mit Freunden in unserer Wohnung, unter einem riesigen Haufen Klamotten, Schuhen, Dekoartikeln, Küchenutensilien und Möbelteilen. Einen großen Teil haben wir bereits auf dem Flohmarkt verkauft oder verschenkt. Mit dem Wissen, dass wir in 3 Wochen mit einer weißen Weste starten wollen, tauschen wir nochmal die wildesten Gedanken aus. Es gilt, noch auszusortieren, was noch auszusortieren geht. Auch wenn wir uns länger nicht sehen werden: auf unsere Freunde ist halt immer Verlass! Auch hier bekommen wir größte Unterstützung und jeder hilft, wo er nur kann. Leicht wie eine Feder verabschieden wir uns von sämtlichem Schnickschnack und doch fühlt es sich wie ein Klotz am Bein an, unsere Freunde und Familie in nächster Zeit nicht mehr so regelmäßig sehen zu werden. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir nicht, dass es uns schwerer fällt, als wir denken…

 

Unsere letzten Tage und Wochen in Erfurt sind sehr stressig. Wir essen wenig, schlafen kaum. Auch wenn wir das große Glück hatten, dass wir unsere Wohnung komplett möbliert abgeben können, möchten die Bad- und Küchenschränke irgendwann ausgeräumt werden. Dass auch hier nochmals mehrere Autoladungen voller Kisten entstehen, haben wir so nicht erwartet. Unsere Abschiedsfeier organisiert sich nicht von allein und nachdem die Wohnung übergeben, der Abschied ausgiebig gefeiert und die Tränen gerollt sind, möchte ja unser Begleiter für die nächsten 1,5 Jahre, unser Backpack, auch noch ein wenig Aufmerksamkeit. So gilt es in letzter Sekunde zu entscheiden, welches Shirt zu den 5 auserkorenen gehört und ob man wirklich zwei Paar Schuhe braucht.

Thailand/Dezember 2017 – Wir sitzen im Klassenraum der Schule in Nong Chang. Seit einigen Tagen geben wir Englisch-Unterricht für alle Altersklassen, vom 3 bis 50-jährigen, vom Zwerg bis zum Riesen, spielen Spiele und skypen durch ganz Thailand. Es ist schön zu sehen, wie viel Spaß wir dabei entwickeln…

Vor eineinhalb Woche erst verabschiedeten wir 3 neue Freunde, die weiterreisen, mit denen wir in den letzten Wochen den ein oder anderen laotischen Berg erklommen hatten, wilde Fahrten in völlig überladenen Tuk Tuks durchstanden und den ein oder anderen Lao Lao, dem laotischen Schnaps, tranken. Aus Koffern wurden Rucksäcke, die Reisedauer von einem Monat auf mittlerweile ca. 9 Monate ausgedehnt, die Anzahl an Schlüppis verringert, ein fester Wohnsitz existiert nur noch auf dem Papier, die Gedankenwelt und die Ruhe in uns erweitert, der Freundeskreis ausgedehnt und die Haare wurden länger, die Haut brauner.

Nur eines blieb gleich – der Partner an unserer Seite. Und der Stolz, das alles gemeinsam zu meistern. Nicht zu wissen, was wir morgen machen, geschweige denn, wo wir übernachten werden. 9 Monate und unzählige Kilometer liegen bereits hinter uns. Und es waren die Schönsten unseres Lebens…

Die Welt steht uns offener denn je. Das Dauergrinsen ist zum Lebensmotto geworden. Nicht nur weil wir in 3 Tagen Besuch unserer liebsten Freunde bekommen und wir Silvester in Kuala Lumpur verbringen werden, sondern weil das Leben viel schöner ist, wenn man es zu schätzen weiß und es so nimmt, wie es kommt…

„Der Tag, an dem du aufhörst, das Rennen mitzumachen, ist der Tag, an dem du das Rennen gewinnst“

Christian

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